Friedrich Huth "Aetzen von Glas"
Zitiert nach - "Die Neue Welt" Nr.48/1903 S.380f
Das Aetzen des Glases geschieht namentlich zum Zwecke der Flächenverzierung, aber auch zur Erzeugung von Aufschriften wie von Skalen, Linien, Zahlen auf Gefäßen, wissenschaftlichen Instrumenten, Röhren, Maßapperaten usw. Das Glasätzen hatte früher, als man den Einfluss des Sandstrahlgebläses auf das Glas noch nicht kannte, weit größere Bedeutung als heute; es wurde in sehr umfassender Weise zum Mattieren und Verzieren des Glases angewandt. Heut aber bedient man sich zu diesem Zwecke hauptsächlich des Sandstrahlgebläses, welches diese Aufgabe schnell und vortrefflich zu lösen vermag. Nichtsdestoweniger spielt die Aetzkunst in der Glastechnik doch noch eine sehr hervorragende Rolle, da sie die Ausführung tiefer und sehr korrekter Linien gestattet und außerdem insofern besonders modulationsfähig ist, dass man, im Gegensatz zur Arbeit mit dem Sandstrahlgebläse, das Glas sowohl matt, rau und undurchsichtig, als auch glatt und durchsichtig zu ätzen vermag- je nachdem es der besondere Zweck verlangt.
Als einziges Aetzmittel kommt in der Glastechnik die Fluorwasserstoffsäure zur Anwendung, welche die Eigenthümlichkeit besitzt, die Kieselsäure des Glases aufzulösen und sich auf diese Weise in das Glas einzufressen. Das Aetzmittel kann in zweierlei Form angewandt werden; entweder lässt man die gasförmige Flußsäure auf das Glas wirken oder man trägt einen Flußspatbrei direkt auf die Glasfläche auf. Die Flußsäure erhält man, indem man gepulverten Flussspat in einem aus dünnen Bleiplatten hergestellten Trog bringt und nach Anwärmen desselben Schwefelsäure zusetzt. Flussspat ist in der Regel mit einer großen Quantität anderer Substanzen vermengt , doch beeinträchtigt dieser Umstand das Resultat des Prozesses nicht; nur muß man so viel Säure dem gepulverten Mineral zusetzen, dass man einen dünnen Brei erhält. Erfahrungsgemäß erlangt man auf diese Weise das rechte Mischungsverhältnis, den bei der Verschiedenheit der Beimengungen lassen sich bestimmte Verhältniszahlen nicht gut angeben. Zum Mattätzen des Galses dienen die Dämpfe der so erzeugten Fluß= oder Fluorwasserstoffsäure, während man zum Glanzätzen die wässrige Lösung der Säure verwendet.
Für das Aetzverfahren, gleichgültig, ob es sich um das Aetzen von Stein, Metall, Glas, Elfenbein oder sonst einen geeigenten Körper handelt, muß man einen sogenannten „Deckgrund“ verwenden, um alle Teile der Flächen zu schützen, welche von dem Aetzmittel nicht angegriffen werden sollen. Es sind dies meist fettartige und harzige Stoffe, deren Wahl von der Natur des Aetzmittels abhängt, dem sie zu widerstehen haben. Außerdem muß dieser Deckgrund die Eigenschaft besitzen, sich unter Anwendung unschädlicher chemischer Mittel lösen und herunterwaschen zu lassen. Das Lösemittel muß den Deckgrund beseitigen , aber keine Einwirkung auf den Gegenstand selbst ausüben. In der Technik des Glasätzens bildet der Bienenwachs oder auch ein Gemisch aus Wachs und Terpentinöl den geeigneten Deckgrund. Der Deckgrund kann nun in zweierlei Weise angewendet werden; man breitet entweder die flüssige Wachsmasse über die ganze Fläche aus und legt mit einer Stahlspritze diejenigen Partien des Glases frei, welche von dem Aetzmittel getroffen werden sollen oder man trägt das Wachs nach der Zeichnung freihändig auf diejenigen Stellen des Glases auf, welche geschont werden sollen. Die beiden verschiedenen Verfahren geben der Aetzzeichnung naturgemäß auch einen sehr verschiedenen Charakter. In dem ersten Falle wird die Zeichnung, infolge Anwendung der Stahlspitze, mehr den Charakter einer Gravierung, einer eingegrabenen Linienzeichnung erhalten, während in anderem Falle breitere Flächen, welche durch das Aetzmittel vertieft werden, das charakteristische Merkmal der Zeichnung bilden. Dabei ist es natürlich unwesentlich, ob der Grund vertieft und das Muster erhaben erzeugt wird oder umgekehrt.
Sind nun der Deckgrund und die Zeichnung hergestellt, so müssen die Gegenstände den Dämpfen ausgesetzt werden, was nur in geschlossenen Kammern oder geschlossenen Behältern geschehen kann, damit die Dämpfe sich nicht verflüchtigen, sondern zur Verrichtung ihrer Arbeit zusammengehalten werden. Der Aufenthalt von Menschen in Räumen, in welchen die Säure erzeugt oder angewendet wird, ist höchst gefährlich. Die Säure greift die Haut äußerst empfindlich an, erzeugt Geschwüre, und die Dämpfe sind den Atmungsorganen sehr schädlich. Es ist also hier große Vorsicht geboten, dich können die schweren Schädigungen vermieden werden, wenn die Entwicklung und Verwendung der Säure ausschließlich in geschlossenen Gefäßen erfolgt und die austretende Säure unter Wasser aufgefangen wird, welches ständig erneuert werden muss. Auch bei Aufbewahrung der Säure in Gefäßen hat man besondere Vorsicht anzuwenden. Glasgefäße vermögen diesem Zwecke nicht zu entsprechen, da die Säure sie entzwei fressen würde. Wirklich zweckmäßig sind nur Guttapercha= und Bleiflaschen, welche auch allein für diesen Zweck Anwendung finden. Vielfach wird nicht erst die Flußsäure bereitet, sondern auch ein Gemisch von Flussspat und Schwefelsäure direkt auf die Glasplatte aufgetragen; die ätzende Wirkung wird dadurch in keiner weise beeinträchtigt. Nach dem Ätzen hat man nur noch die Platte abzuwaschen und vom Deckgrund zu befreien.. Es geschieht dies unter Verwendung von Terpentinöl, in welchem sich Wachs löst.
In vielen Fällen gilt es, durchsichtige Aetzungen sichtbar zu machen, namentlich wenn es sich um Skalen und Zahlen auf Messinstrumenten handelt. In diesem Falle werden recht tiefe Linien erzeugt und die Vertiefungen mit einem schwarzen Lack gleichmäßig gefüllt.. Ohne Zweifel lässt sich dieses Verfahren auch für die Dekoration von Gläsern anwenden.
Nach einem Vorschlage von Berzelius verwendet man auch das Fluorammonium zum Mattätzen von Glas. Dasselbe bildet zugleich auch den wesentlichen Bestandteil einer Ätztinte, mit welcher man ohne weitere Hilfsmittel direkt auf Glas schreiben und zeichnen kann. Nach Thilo wird diese Tinte erzeugt indem man 30 Gramm Fluorammonium, 15 Gramm destilliertes Wasser und 6 Gramm Schwefelsäure in einer Bleiflasche mischt, die Mischung auf 40Grad Celsius erwärmt und nach dem Erkalten 5 Gramm starke Flußsäure und 1 bis 2 Gramm Gummiarabicum= Lösung zusetzt.- Nach einem anderen Rezept verwendet man zur Erzeugung dieser Tinte Ammoniumfluorid und Baryum=Sulfat zu gleichen Gewichtstheilen, zerkleinert das Gemisch in einem Mörser zu einem feinen Pulver und bereitet unter Zusatz von Flußsäure eine sahneartige Flüssigkeit. Natürlich aknn man auch diese Tniote nicht in einer gewöhnlichen Glasflasche aufbewahren; doch kann man eine Glasflasche seht leicht zur Aufbewahrung dieser ätzenden Flüssigkeit geeignet machen, indem man die Innenflächen mit Paraffin überzieht. Man gießt etwas geschmolzenes Paraffin in die leere Flasche und bereitet es, indem man die Hand in rotierende Bewegung setzt, über die ganze innere Fläche aus. Darauf erstarrt das Paraffin und macht die Fläche zur Aufnahme der Tinte geeignet, welche die Paraffindecke nicht zu zerstören vermag.Beim Schreiben oder Zeichnen auf Glas lässt man diese Tinte etwa eine halbe Minute auf der Glasfläche und wäscht sie dann mit reinem Wasser ab.
Endlich verdient noch die Anwendung der Glasätzkunst für die graphischen Gwerbe Erwähnung. Durch Radiren in den Aetzgrund werden Schriften oder Zeichnungen erzeugt, hierauf wird die Aetzung mit wässriger Flußsäure bewirkt, die Platte mit Terpentinöl abgewaschen und mit Gips auf einer Eisenplatte befestigt. Die so präparierte Glasplatte kann nun als Druckplatte Verwendung finden. Für den Kunstdruck hat sich diese „Hyalographie“ nicht gerade bewährt; die Abdrücke werden zu hart und starr; dagegen wird das Verfahren zur Herstellung von Lansdkarten und Banknoten angewandt, bei welchem gerade der harte aber scharfe und korrekte Abdruck ganz angebracht ist. Jedenfalls überraschen diese durch Glasdruck hergestellten Arbeiten durch ihre ungemeine Feinheit. Mit einem gewissen Erfolg hat für die Zwecke des Kunstdrucks die Wiener Staatsdruckerei eine Modifikation des Verfahrens bewirkt, durch deren Anwendung die leicht zerbrechlichen Glasplatten geschont werden. Sie hat auf galvanischem Wege von den geätzten Platten kupferne Kopien genommen und diese als Druckplatten benutzt. Die Abdrücke waren sehr schön und es wurde selbst der eigenthümliche ton, welcher durch die Glasoberfläche bewirkt wird, vermittelst der Kupferkopien dem Kunstdruck mitgetheilt. Dennoch hat das Verfahren für den Kunstdruck keine große Bedeutung erlangt, und zwar hauptsächlich aus dem Grunde, weil andere bequemere Verfahren dem gleichen Zwecke in mindestens ebenso vortrefflicher Weise dienen. Interessant ist aber jedenfalls, dass sich das Aetzverfahren in ebenso vortrefflicher Weise für künstlerische Zwecke wie für solche rein technischer Natur eignet, so dass der Gelehrte dieses Hülfsmittel ebenso sehr schätzen lernt, wie der Künstler, der in das starre, spröde Glas die zartesten Gebilde gräbt, ohne das harte Material selbst mit einem Instrument angreifen zu müssen.
Anmerkung Guttaperchaflaschen sind Kautschukflaschen